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Kritik und Antwort
In der Ausgabe 2 / 2003 des Musikmagazins NEUE ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK (Schott-Verlag) wurde die CD vector alpha von TRIONYS besprochen. Im Dezember 2003 setzte sich Rainer Bürck in einem Antwortschreiben an den Chefredakteur der NZfM, Rolf Stoll, mit dieser Besprechung kritisch auseinander.
Kritik:
TRIONYS: vector alpha
Rainer Bürck, Keyboards, Electronics; Günter Marx, Violine, Electronics; Martin Bürck, Gongs, Percussion, Electronics
Earsay es 02001
Eruption, Maschinen und Fetzen heißen drei der insgesamt dreizehn Titel - hinter denen drei vehemente Widersprüche gegen jede Form von Übersichtlichkeit und schon gar gegen leichte Konsumierbarkeit stecken. Mit einer heute nur noch selten zu entdeckenden Radikalität setzt das Trio Trionys ganz auf die Zerschlagung des musikalischen Materials: mit dynamischen Pendelausschlägen, die sich gegenseitig ins Tumulthafte hochschaukeln; mit bruitistischen Reibungen, die nur selten Platz lassen für dann schon fast meditativ wirkende Skalen.
Trionys - das sind die Brüder Rainer und Martin Bürck, die in den siebziger Jahren mit ihrer experimentellen Struktur-Dekonstruktion begannen, sowie Günter Marx, der hauptberuflich Konzertmeister am Dortmunder Opernhaus ist. Trotz ihrer biographisch-künstlerischen Gegensätzlichkeit ist ihr gemeinsamer, avantgardistischer Impetus sofort unmittelbar; schmieden sie mit elektronischen Kaskaden und großflächigem Percussions-Hauruck ein opulentes Klangmobile. Leider sind die Improvisationen aber von ebenso radikaler Halbwertszeit - weil die reine Aura der Konfrontation heute schon längst Warencharakter besitzt.
Guido Fischer
Antwort an Chefredakteur Rolf Stoll:
Lieber Rolf,
Schon lange wollte ich Dir schreiben, um auf die Besprechung der CD "TRIONYS - vector alpha" in der NZfM einzugehen. Aber man hat ja sehr viel zu tun..... Nun, ich schreibe dies jetzt nicht dem Chefredaktuer und Schott-Manager, sondern dem Kommilitonen. Und das soll keine offizielle Entgegnung sein, sondern nur eine persönliche Stellungnahme, Meinung.
Man sollte ja als betroffener Künstler auf Kritiken eigentlich niemals reagieren; egal, ob sie positiv oder negativ sind. Aber manchmal schreiben Kritiker wirklich einen Stuss, und da fällt es schwer, den Mund zu halten. Zumal Kritiker ja auch eine verantwortungsvolle Aufgabe in der öffentlichen Meinungsbildung haben. Zu oft habe ich schon Kritiken gelesen von Kritikern, die völlig inkompetent und in der Sache überfordert waren. Vor allem was elektroakustische Musik anbetrifft, ist das oft eine Katastrophe!
Natürlich muß ein Kritiker die Freiheit und Unabhängigkeit haben, das zu schreiben, was er denkt. Und da sollte er auch von der Chefetage aus niemals manipuliert werden. Manchmal ist mir auch ein Verriß lieber, als von den falschen Leuten gelobt zu werden.
Nun zu der Besprechung von Guido Fischer.
Am Anfang schreibt er:
" 'Eruption', 'Maschinen' und 'Fetzen' heißen drei der insgesamt dreizehn Titel - hinter denen drei vehemente Widersprüche gegen jede Form der Übersichtlichkeit und schon gar gegen leichte Konsumierbarkeit stecken. Mit einer heute nur noch selten zu entdeckenden Radikalität setzt das Trio Trionys ganz auf die Zerschlagung des musikalischen Materials".
Nun, teilweise ehrt mich das ehrlich, denn das Attribut einer heute nur noch selten anzutreffenden Radikalität ist schon eine sehr hohe Ehre. Vielleicht sogar fast zuviel der Ehre. Also, das nehme ich sehr gerne an. Auch das, daß sich unsere Musik der leichten Konsumierbarkeit widersetzt. Sehr richtig! Der Mann hat das schon begriffen und gespürt. Und das vor allem in einer Zeit, in der sich in vielen Sparten immer mehr ein Mainstream durchsetzt. Das gilt nicht nur für die U-Musik, sondern auch für die akademische Musik, vor allem auch für die akademische elektroakustische Musik.
Du weißt vielleicht, daß ich seit einigen Jahren Mitglied der Jury des jährlich stattfindenden internationalen Wettbewerbs "Musica Nova" für Elektroakustische Musik in Prag bin. Und jedes Jahr müssen wir über 120 Stücke anhören, die sich teilweise gleichen wie ein Ei dem anderen. Alles technisch absolut gut gemaccht (bis auf wenige Ausnahmen, die negativ aus dem Rahmen fallen), aber alles doch sehr, sehr ähnlich. Einst neue und radikale Gesten der Neuen Musik bzw. der Elektroakustischen Musik sind zum Jargon, zum austauschbaren Klischee verkommen.
Oder denke an all das, was in den letzten Jahren wieder fröhliche Urstände feiert, als hätte es eine kritische Reflexion nie gegeben! All diese Neo-Tendenzen, ich kann sie nicht ausstehen! All die Künstler, die wieder ihren Frieden mit sich und der Welt machen, die sich schön und brav wieder einreihen in die Normen des Allzubekannten.
Was stört mich daran? Ich habe mit meiner Frau (deren Musik, wie ich zu meiner großen Freude gehört habe, Dir ganz gut gefällt) schon viele Diskussionen darüber geführt. Sie kommt aus einem ganz anderen Kulturkreis als wir hier in Deutschland. Und da gibt es sehr wesentliche Unterschiede, was mir wieder erneut zeigt, wie sehr doch alles auf den gesamten gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhang ankommt. Was dort richtig ist, kann hier falsch sein und umgekehrt. Das läßt sich nicht so ohne weiteres übertragen. Um diesen Unterschied bündig auf einen Nenner zu bringen: für die Esten war das Festhalten an der Tradition während der sowjetischen Unterdrückung lebensnotwendig zur Rettung ihrer kulturellen Identität, während das Festhalten an Traditionen in Deutschland nach 1945 suspekt wurde. Wir sind ja alles Kinder der Adorno-Generation, Du weißt schon, Gedichte nach Auschwitz usw usw. Es ging einfach nicht, an dieser Tradition festzuhalten; sie kam radikal auf den Prüfstand. Natürlich war es nicht nur diese politisch-menschlich-kulturelle Katastrophe des Dritten Reich, die die musikalischen Traditionen in Frage stellte. In der Musik der ersten Jahrhunderthälfte hatten sich ja längst Tendenzen zur Loslösung von diesen Traditionen breit gemacht. Sie wurden freilich nicht so konsequent durchgeführt, wie es die Komponisten nach 1945 gerne gehabt hätten und worin diese nur halbherzige Anläufe sahen (außer in der Musik Schönbergs).
Was Schönbergs Musik anbetrifft, so kann man seine Atonalität ja auch nicht als eine (pubertäre, äußerlich-oberflächliche) Zerschlagung der Tonalität abtun, so wie es Hindemith getan hat. Denn die Tonalität war ja längst tot. Und es ging Schönberg nicht um Zerschlagung, sondern um das Schaffen einer neuen Klangsprache und einer neuen Ästhetik. Sicherlich kennst Du Hindemiths Reaktion darauf in seiner "Unterweisung im Tonsatz". Sehr bezeichnend für seine Haltung ist, was er auf den Seiten 39 ff über den Dreiklang schreibt, den er als eine der "großartigsten Naturerscheinungen" bezeichnet, "einfach und überwältigend wie der Regen, das Eis, der Wind. Solange es eine Musik gibt, wird sie immer von diesem reinsten und natürlichsten aller Klänge ausgehen und sich in ihm auflösen müssen.....". Nun, ich weiß nicht, wenn ich mich in die Natur begebe, höre ich eigentlich nie irgendwelche Dreiklänge. Ich höre das Brausen des Windes (ein Geräusch), das Prasseln des Regens (auch ein Geräusch), das Krachen der Schritte auf dem Eis, das Knistern des Feuers usw usw.... Zudem ist das Argumentieren mir irgendeiner Art von "Natürlichkeit" seit jeher eine rektionäre Strategie, mit der man das Neue angreifen will, indem man es als "unnatürlich" brandmarkt; später nannte man das dann "entartet", was auch nicht so viel anders ist.
Was mich daran stört, ist also eine falsche Argumentationsstrategie. Sie nimmt irgendeine bestimmte Musik als natürlich gegeben hin und betrachtet jegliche Abweichung davon als eine Art Entartung, die nicht zu billigen ist. Das kann man ja schon im Mittelalter beobachten, als Jacobus von Lüttiich gegen die jüngeren Komponisten der Ars Nova - Generation zu Felde zog und ihnen "unnatürliche Zusammenklänge" vorwarf. Interessant ist, wie konstant die Terminologie dieser Invektiven gegen das jeweils Neue über die Jahrhunderte geblieben ist.
Es gibt keine "natürliche" Musik. Es gibt keine Eigentlichkeit in der Kunst. Aber genau dies wird von reaktionärer Seite aus immer wieder als Grundlage der Kunst angeführt. Die Tonsprache jeder Epoche ist das Resultat eines historischen Prozesses. Die Tonalität ist um nichts natürlicher oder eigentlicher als die Klangsprache Helmut Lachenmanns. Und wenn man mit der "Zertrümmerung des musikalischen Materials" argumentiert, dann unterstellt man immer eine bestimmte Musik als gegeben, als eigentlich, als natürlich, die von den ach so bösen Buben nun mit Steinen beworfen wird.
Aber diese Argumente werden immer wieder vorgebracht. Gegen Schönberg. Gegen Lachenmann. Gegen die elektronische Musik Stockhausens in den fünfziger Jahren (vielleicht kennst Du die Ausfälle Friedrich Blumes gegen Stockhausens elektronische Musik). Aber jedesmal lag die Kritik völlig daneben, weil sie überhaupt nicht sah, daß es nicht um die Zertrümmerung von was auch immer ging, sondern daß diese Musik schon längst eine neue Ästhetik begründet hatte bzw. auf einer neuen Ästhetik aufbaute. Auch Lachenmann ist oft in die pubertäre Ecke des Verweigerers gestellt worden (woran er, aus schwäbisch-pietistischer Tradition heraus, vielleicht sogar nicht immer ganz unschuldig war). Und man hat nicht gesehen, daß es längst um etwas anderes ging als um ein vordergründiges Happening, das dem Establishment die Zunge herausstreckt oder ihm den blanken Hintern zeigt. Das trifft vielleicht höchstens auf die Fluxus-Bewegung zu, als man Klaviere zu zertrümmern pflegte ( da war ja ein sehr schönes Bild in der betreffenden Ausgabe der NZfM!).
Und das stört mich auch an Guido Fischers Besprechung. Wie gesagt, das Attribut der Radikalität nehme ich sehr gerne an und fühle mich dadurch sogar sehr geschmeichelt (im Sinne einer künstlerischen Konsequenz, die sich dem Mainstream und der leichten Konsumierbarkeit widersetzt und versucht, einen eigenen Weg zu gehen); aber das, daß wir ganz auf die Zerschlagung des musikalischen Materials setzen würden, ist - mit Verlaub - Unsinn. Ebenso der Schlußsatz: "Leider sind die Improvisationen aber von ebenso radikaler Halbwertszeit - weil die reine Aura der Konfrontation heute schon längst Warencharakter hat". Da fühle ich mich in die Ecke der pubertierenden Konfrontation abgedrängt. Und das ist Unsinn! Denn Geräusche, auch exzessive Geräusche, sind längst musikalische Elemente geworden, sei es bei Varese, sei es bei Lachenmann, sei es bei der Musique Concrete, sei es bei der "Noise"-Bewegung, sei es bei Trionys. (Abgesehen davon sind mir exzessive Geräusche tausendmal lieber als etwa die exzessiven Wohlklänge eines Arvo Pärt!!!). Was uns fasziniert, ist der gesamte Klangkosmos unserer Instrumente, der elektronisch ja noch besser auszuloten ist als rein akustisch. Und da gibt es neben den "normalen", üblichen Klängen ja eine ganze Palette faszinierender Klänge, die bisweilen sehr bizarr sind. Und wir versuchen, diesen gesamten Klangkosmos zu integrieren.
Es ist richtig, daß sich das bisweilen ins Tumulthafte hochschaukelt, wie Guido Fischer schreibt. Das exzessive Chaos ist die eine Seite der Medaille, aber das darf man heute im restaurativen Klima ja schon lange nicht mehr präsentieren. Da soll Neue Musik schon ein wenig schräg sein, aber bitte schön nicht allzusehr. Gerne hört man sich das bei den einschlägigen Festivals an und trinkt in der Pause dann Sekt oder Selters, je anch Gusto. Aber weh tun soll diese Musik nicht. Sie soll domestiziert und brav sein. Was ist übrigens in dieser Hinsicht ein "Klavierstück X"? Auch ein pubertärer, bisweilen brachialer Exzess auf dem Klavier, wo man mit Armen und der ganzen Hand das musikalische Material zerschlagen darf, um es hinterher mit den Handschuhen zu verwischen? Nein, dann doch lieber Arvo Pärt oder Steve Reich; das tut nicht weh und lullt so schön ein!
Wenn Guido Fischer allerdings schreibt. "...mit dynamischen Pendelausschlägen, die sich gegenseitig bis ins Tumulthafte hochschaukeln; mit bruitistischen Reibungen, die nur selten Platz lassen für dann schon fast meditativ wirkende Skalen", so frage ich mich, ob er die CD als ganze überhaupt gehört hat, denn dies ist schlichtweg falsch und somit völliger Unsinn! Zwar gibt es diese exzessiven Stellen (und dazu stehen wir), aber sehr viele Stellen - prozentual gesehen sogar wohl der größte Teil der CD - besteht aus sehr ruhigen Passagen. Also, daß für solche Stellen nur selten Platz wäre, davon kann überhaupt keine Rede sein!
Ebenso falsch ist es, daß hinter den dreizehn Teilen vehemente Widersprüche gegen jede Form der Übersichtlichkeit stecken. Das kann ich nun wirklich nicht gelten lassen! Die dreizehn Teile sind ganz klar und eindeutig voneinander unterschieden, und jeder Teil hat einen ganz eindeutigen, durchs Hören sehr leicht nachvollziehbaren Charakter. Jeder Teil verwendet ganz bestimmte, charakteristische Klänge, die den jeweiligen Teil sofort und sehr leicht identifizierbar machen. Oder ganz bestimmte musikalische Aktionen, ganz bestimmte Arten der Interaktion zwischen uns. Oder ganz bestimmte Abläufe, Entwicklungen. Oft gibt es großangelegte (für mich vielleicht sogar manchmal eher zu leicht vorherzusehende) Entwicklungsbögen. Man kann in jeder Phase des Stücks sehr leicht durchs bloße Hören nachvollziehen, was mit dem musikalischen Material jeweils passiert, wohin es sich entwickelt; wo es Kontinuitäten gibt und wo Brüche, Schnitte. Wir wollen eben keine Musik schaffen, die zwar auf dem Papier raffiniert ausgetüfftelt ist, die sich dann aber nicht durchs Hören nachvollziehen läßt (was etwa für viele Stücke der seriellen Musik gilt).
Die elektronischen Klangmaterialien, die jeder von uns neben seinem akustischen Instrumentarium verwendet, entstammen ausschließlich dem jeweiligen Instrumentarium. Bisweilen kann es natürlich durch die elektronischen Transformationen sein, daß sich die Klänge annähern und so ähnlich werden, daß man nicht mehr genau sagen kann, von welchem Instrument sie stammen. Aber darin hat die Elektronik ja auch eine vermittelnde Funktion. Akustische Instrumente haben zunächst eine jeweils eigene Klangwelt, die von der Klangwelt anderer Instrumente getrennt ist. Und diese Klangwelten lassen sich akustisch kaum vermitteln. Aber die Elektronik kann das (ganz im Sinne von Stockhausens "Kontakten", bei denen die elektronischen Klängen zwischen holzartigen, fellartigen und metallischen Klängen vermitteln).
Ich meine nicht, daß unsere Sache nicht zu kritisieren wäre. Wie schon angedeutet, sind mir manche Entwicklungen und Formabläufe eher zu durchschaubar als zu unübersichtlich. Will sagen: eher zu einfach. Oder die Trennung des Ganzen in 13 Teile mit ihrer jeweils eigenen Klanglichkeit und Charakteritik: das ist mir auch eher zu einfach als zu unübersichtlich. Das ganze ließe sich noch komplexer durchkomponieren.
Was TRIONYS anbetrifft, so wurden wir letztes Jahr ausgewählt, bei der prestigeträchtigen "International Computer Music Conference" (ICMC) in Göteborg zu spielen. In der Kategorie "Instrumente mit Elektronik" gab es 118 Bewerbungen, aus denen 18 ausgewählt wurden, darunter wir. Im Oktober dieses Jahres gastierten wir beim NYYD-Festival in Tallinn (von der Beteiligung deutscher Künstler an diesem Festival war in der Besprechung in der NZfM freilich kein einziges Wort zu lesen!). Die drei Direktoren des Festivals (Madis Kolk, Erkki-Sven Tüür und Olari Elts) reagierten sehr begeistert auf unseren Auftritt. Madis Kolk sprach von einem der besten Konzerte elektroakustischer Musik, das er je gehört habe. Der Komponist Erkki-Sven Tüür meinte, wir seien eines der besten live-elektronischen Ensembles. Und ähnlich äußerte sich auch Olari Elts, einer der profiliertesten Dirigenten Estlands (seines Zeichens derzeit Chefdirigent beim Philharmonischen Orchester in Riga).
Wenn man von solch kompetenten Leuten eine derart positive Rückmeldung bekommt, lassen sich entsprechende negative Kritiken sehr gut und gelassen ertragen. Und es ist ja ok, wenn Herrn Fischer unsere Musik nicht gefällt und er dies äußert. Nur ein paar Dinge waren halt schlichtweg falsch und können so nicht unwidersprochen hingenommen werden. Und wer uns in der pubertierenden Ecke sehen möchte, kann dies gerne tun. Wenn schon, dann lieber da als in der Ecke reifer, gesetzter, abgeklärter älterer Herren, die ihren Frieden mit sich und der Welt gemacht haben, wenn auch dieses Klischee völlig an der Sache vorbei geht.
Rainer Bürck
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